Online-Monitoring – Die Zukunft für Verteilnetzbetreiber?
Sind Momentanwerte neben Netzzustandsanalysen auch für die Optimierung von Ortsnetzstationen nützlich? Die Energieforen haben hierfür ein portugiesisches Konzept analysiert und verschiedene deutsche Verteilnetzbetreiber um ihre Einschätzung gebeten.
Um die Energiewende und die damit einhergehende tiefgreifende Transformation des gesamten Energiesystems umzusetzen, wird es für Verteilnetzbetreiber (kurz: VNB) erforderlich, in den Netzausbau sowie die Smartifizierung des Netzes zu investieren. Durch neuartige Betriebsmittel sowie die veränderte Betriebsweise des Netzes mit bidirektionalen Lastflüssen steigt die Komplexität des Gesamtsystems. Der Netzbetreiber kann auf die automatisierte Erfassung von Momentanwerten (Online-Monitoring) zurückgreifen, um die Transparenz im Netz zu erhöhen.
Netzzustandsanalysen auf der Basis von Online-Monitoring-Daten
Im Bereich der Netzzustandsüberwachung stellt die Erfassung von Momentanwerten ein Zielbild dar, welches von VNB angestrebt wird, um den Herausforderungen der Energiewende, durch ein überwachtes und steuerbares Verteilnetz, gerecht zu werden. Um die Netzbetriebsführung zu unterstützen, kann die Beurteilung der Spannungsqualität (Spannung, Frequenz und Gesamtoberschwingungshalt) sowie der Netzlast (Ströme, Wirk- und Blindleistung, Phasenwinkel sowie Temperatur) durch Online-Monitoring erfolgen. Des Weiteren können Störungen wie Erd- und Kurzschlüsse erfasst und gemeldet werden.
Verwendung von Online-Monitoring-Daten im Asset Management
Es stellt sich die Frage, ob Online-Monitoring-Verfahren auch im Asset Management, zum Zweck der Zustandsermittlung von Betriebsmitteln im Verteilnetz, sinnvoll einsetzbar sind. Auch in diesem Aufgabenbereich stehen VNB durch Anreizregulierung und erhebliche Investitionen unter Druck. Es gilt die Aufgaben, hinsichtlich der Inspektion, Wartung, Instandsetzung, Erneuerung und Verbesserung der Netzbetriebsmittel, kosteneffizient zu erfüllen.
Zustandsdaten zur Optimierung der Instandhaltung im Verteilnetz
An diesem Punkt setzt das Forschungsprojekt „Predictive Asset Management“ (kurz: PAM), bei welchem die Energieforen als Projektpartner beteiligt sind, an. Hierbei sollen Entscheidungen im Rahmen der Erneuerungs- und Instandhaltungsplanung durch Informationen zum Zustand von Betriebsmitteln in Ortsnetzstationen sowie dessen Entwicklung unterstützt werden. Die Zielsetzung besteht darin, die Zustandsdaten und eine Vielzahl an Entscheidungskriterien durch den Einsatz eines KI-Expertensystems zu Handlungsempfehlungen zusammenzuführen.
Das Einbeziehen von Zustandsdaten in den Entscheidungsprozess stellt eine erhebliche Effizienzsteigerung dar, da sowohl Kosten für die Versorgungsunterbrechungen als auch für nicht notwendige Instandhaltungsmaßnahmen vermieden werden. Jedoch muss auch die Erfassung des Betriebsmittelzustands kosteneffizient gestaltet werden.
Zustandsdaten der Betriebsmittel in Ortsnetzstationen werden aktuell zumeist mittels Begehung und Sichtkontrolle erhoben. Zusätzlich können Messungen eingesetzt werden, um den Zustand der Betriebsmittel zu beurteilen. Hier erweisen sich laut Beerboom (2016) die akustische Teilentladungsdetektion, die Detektion von transienten Ableitspannungen, thermografische Analysen sowie die Erdschleifenmessung als geeignete Messverfahren, um den Zustand von Betriebsmitteln in Ortsnetzstationen zu ermitteln [1].
Der PAM-Ansatz soll auf Entwicklungsmöglichkeiten durch Verknüpfung mit Predictive-Maintenance-Ansätzen auf Basis von Sensordaten, welche durch Online-Monitoring erhoben werden, analysiert werden. Mehr über das Forschungsprojekt „PAM“ erfahren Sie u. a. hier auf der Website der Universität Wuppertal.
Online-Monitoring-Konzept für Ortsnetzstationen der Universität in Coimbra
In einer Publikation der portugiesischen Universität Coimbra wird ein Konzept für die Zustandsermittlung von Ortsnetzstationen mittels Online-Monitoring vorgestellt. Die folgende Abbildung stellt die implementierten Diagnoseverfahren dar:
Abbildung 1: Implementierte Diagnoseverfahren des Online-Monitoring-Konzepts für ONS der Universität in Coimbra; Quelle: Faria et al., 2021 [2]
Dieses Online-Monitoring-Konzept überzeugt durch seinen modularen Aufbau, welcher den VNB eine individuelle Auswahl der Messverfahren ermöglicht, sowie die Datenanalyse mittels Edge-Computing auf Ortsnetzstationsebene und einer KI, welche Störungen vorhersagt und Handlungsmöglichkeiten aufweist. Außerdem werden die Störungsanfälligkeit und die Kosten für die Montage des Systems durch eine Retrofit-Montage gesenkt, welche auf Verkabelung verzichtet und stattdessen auf Drahtlos-Netzwerke und Energieernte zurückgreift.
In Gesprächen mit acht Fachkundigen aus dem Bereich Asset Management bei deutschen VNB soll der Einsatz von Online-Monitoring bewertet werden.
Hemmnisse des Einsatzes von Online-Monitoring im Asset Management
Im Vordergrund der Experteneinschätzung stehen die hohen Initialkosten. Diese setzen sich aus den Investitionskosten für die Messsysteme, Kosten für deren Montage sowie für Informations- und Kommunikationstechnik zusammen. Hinzu kommen Lebenszykluskosten der Messsysteme, welche als erhebliches Hemmnis wahrgenommen werden. So ist die erwartete Lebensdauer mit 20-25 Jahren in etwa halb so lang wie die eines Verteiltransformators. Dies führt dazu, dass Erneuerungsmaßnahmen fällig werden, ohne dass die Primärtechnik in Ortsnetzstationen betroffen ist. Darüber hinaus besteht die Befürchtung, dass durch Fehlermeldungen, fehlende oder falsche Messwerte vermehrt Instandhaltungsmaßnahmen der Messsysteme notwendig oder fällige Maßnahmen an der Primärtechnik nicht erkannt werden.
Im Verlauf der Expertengespräche wird immer wieder deutlich, dass die Rentabilität bei der Technologiebewertung von Online-Monitoring zur Betriebsmittelzustandserfassung eine zentrale Rolle einnimmt. Diese steigt im Fall von wertintensiven Betriebsmitteln, welche eine große Bedeutung für die Versorgungssicherheit haben und eine hohe Störanfälligkeit aufweisen. Des Weiteren wirken sich eine breite, digitalisierte Datenbasis an Stamm- und historischen Zustandsdaten, ein langfristiger Betrieb der Online-Monitoring-Systeme sowie eine große Anzahl gleichartiger Diagnoseobjekte positiv auf die Qualität der Prognosen aus.
Ortsnetzstationen eignen sich folglich für eine zielführende Datenauswertung. Jedoch stellen sie keine werthaltigen Netzanlagen dar und auch die Bedeutung für die Versorgungssicherheit ist als eingeschränkt zu bewerten. Darüber hinaus erweisen sich die Betriebsmittel in Ortsnetzstationen als sehr zuverlässig und die Konsequenzen von Versorgungsunterbrechungen im Niederspannungsbereich werden als begrenzt eingeordnet.
All diese Faktoren führen dazu, dass die Mehrheit der Fachleute einen breitflächigen Einsatz von Online-Monitoring im Asset Management von Ortsnetzstationen in der näheren Zukunft nicht als wirtschaftlich erachtet.
Synergieeffekte von Netz-Monitoring und Betriebsmittel-Monitoring
Dennoch weist die Umsetzung einer Predictive-Maintenance-Lösung bei einem deutschen VNB, welcher neben sämtlichen historischen Netzdaten, Netzzustandsanalysen sowie eine Überwachung von Temperatur und Umgebungsfeuchtigkeit der Betriebsmittel einbezieht, einen deutlichen Rückgang der Ausfallzahlen auf. Die Rentabilität wird in diesem Fall durch ein weitläufiges Netzgebiet begünstigt, in welchem eine Überwachung ebendessen mit den vorhandenen Personalressourcen nicht abgebildet werden kann.
Dieses Beispiel zeigt auch, dass eine automatisierte Erhebung von Netzzustandsdaten als Treiber für Online-Monitoring-Verfahren im Allgemeinen fungieren kann. Um die Energiewende im Verteilnetz umzusetzen, haben Netzzustandsanalysen, welche sowohl für die Netzbetriebsführung als auch die Netzentwicklung Mehrwert bringen, aktuell eine erhebliche Priorität gegenüber einer Weiterentwicklung der Erfassung von Betriebsmittelzustandsdaten im Asset Management. Auch finanzielle und personelle Ressourcen sind in dieser Entwicklung gebunden. Dennoch können Herausforderungen, welche von den Fachkundigen angenommen werden, durch Synergien mit der voranschreitenden Etablierung automatisierter Netzzustandsdatenerhebung ausgeräumt werden. So stehen sowohl implementierte Technik zur Datenübertragung als auch übergeordnete Systeme zur Datenauswertung, welche die Herausforderung der Datenzusammenführung aus vielfältigen Quellen bewältigt haben, für Online-Monitoring des Betriebsmittelzustands bereits zur Verfügung. Digitalisierte Daten und Entscheidungsprozesse im Asset Management können wiederum eine Unterstützung für die Netzentwicklung darstellen. Auf dieser Basis kann erkannt werden, welche Messwerte für eine effizientere Planung von Instandhaltungsmaßnahmen relevant sind. Eine schrittweise Etablierung automatisierter Erfassung von interessanten Messdaten kann somit beginnen.
Mögliche Einsatzgebiete von Betriebsmittel-Monitoring
Über diese mögliche Zukunftsentwicklung hinaus, kann es in speziellen Fällen bereits heute sinnvoll sein, Online-Monitoring des Betriebsmittelzustands einzusetzen. In den Expertengesprächen konnte die Veränderung der Umgebungsbedingungen oder der Betriebsweise von Betriebsmitteln in Ortsnetzstationen als Grund für einen Einsatz von Online-Monitoring erörtert werden. So kann beispielsweise wegen des Nachlassens der Bodenfeuchtigkeit durch den Klimawandel und der erhöhten Wärmeabfuhr der elektrischen Betriebsmittel ein Monitoring der Erdungsleitfähigkeit notwendig werden. Des Weiteren wird eine Temperaturüberwachung an potenziellen Heißpunkten der Niederspannungsverteilung, aufgrund der steigenden Ströme in Kombination mit der kompakten Bauweise, als sinnvoll erachtet.
Zusätzlich birgt der temporäre Einsatz von Online-Monitoring das Potenzial, bestehende Alterungsmodelle auf ihre Anwendbarkeit zu prüfen oder neue Erkenntnisse zu gewinnen. Als Beispiele können hier der Betrieb von Transformatoren an ihrer Auslastungsgrenze sowie der Einsatz von recycelten Mineralölen oder die Substitution mit synthetischen Estern angeführt werden. Diese Use Cases sind jedoch nicht im operativen, sondern im strategischen Asset Management, mit dem Zweck neue Entscheidungsgrundlagen zu ermitteln, zu verorten.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass eine automatisierte Messwerterfassung ein generelles Zielbild bei VNB darstellt, um den aktuellen Herausforderungen der Energiewende sowie des Fachkräftemangels zu begegnen. Die Etablierung von Monitoring des Netzzustands wird bei den befragten VNB bereits durchgeführt oder steht auf der zukünftigen Agenda. Die Erfassung von Momentanwerten des Betriebsmittelzustandes hingegen wird aktuell noch nicht als rentabel erachtet. Durch bereits angewendete einfache Überwachungsmessungen in diesem Bereich, Synergien mit der Netzzustandsüberwachung sowie das Potenzial eines gezielten Einsatzes von Online-Monitoring zum Erkenntnisgewinn, kann jedoch eine schrittweise Entwicklung in diese Richtung vermutet werden.
Quellen:
[1] Beerboom, D. (2016). Objektive Zustandsbewertung von Mittelspannungsnetzen als Grundlage der Asset-Optimierung.
[2] Faria, J. R., Cordeiro, M., Oliveira, J. E., & Cardoso, F. J. (2021). A Comprehensive Approach to the Predictive Maintenance of Secondary Distribution Substations: Devices and Methods.