Trends vorgestellt: New Work
Unsere Arbeitswelt befindet sich im unaufhaltsamen Wandel. Durch neue Konzepte und Lösungen soll mehr Freiraum für Kreativität geschaffen werden. In einem Interview beleuchten unsere firmeninternen Experten Julia Maria Kühne (Energieforen) und Steffen Rohr (Versicherungsforen) den Trend „New Work“ genauer.
New Work ist in Zeiten von Digitalisierung und neuen Arbeitswelten zum Buzz-Word geworden. Unternehmen durchlaufen einen Transformationsprozess. Im Interview mit unseren firmeninternen Experten Julia Maria Kühne (Leiterin Kompetenzfeld Unternehmensentwicklung & Organisation bei den Energieforen) und Steffen Rohr (Projektmanager Digitalisierung und Innovation bei den Versicherungsforen) dreht sich alles um die Arbeitswelt 4.0, Bewusstseinsveränderung und den Menschen als Gewohnheitstier.
Zum Einstieg: Was verbirgt sich hinter dem Begriff New Work?
Julia Maria Kühne: New Work – ein Begriff, der in der Literatur nicht konkret definiert ist – meint allgemein alle Veränderungen, die wir im Kontext der Digitalisierung in unserer Arbeitswelt erleben. Es ist aber nicht einfach „alte Arbeit mit Internetanschluss“. New Work ist jene Veränderung, die gerade unsere Arbeitswelt erfährt. Ursprünglich kommt der Ansatz von Frithjof Bergmann, einem Professor der Philosophie, der sich in den 70er Jahren in den USA mit diesem Thema auseinandergesetzt hat. So new ist das Thema also eigentlich gar nicht mehr. Für mich ist es ein neues Bewusstsein: Was verstehen wir heute unter Arbeit?
Steffen Rohr: New Work ist ein sehr vielschichtiges Thema. Als prominentes Beispiel beschäftigen sich die meisten Menschen mit der Neugestaltung von (Arbeits-)Räumen. Das ist relativ einfach umzusetzen: Es bedarf lediglich Zeit und Geld. Das Thema hat aber wesentlich mehr Facetten und widmet sich folgenden Fragen: Wie sieht Führung zukünftig aus? Wie werden wir uns künftig organisieren, weg von einer hierarchischen Gestaltung und hin zu einer Netzwerkorganisation? Wie bekommen wir gutes Personal und wie halten wir dieses? Im Kern ist New Work eigentlich eine Frage der Unternehmenskultur, das Sammelsurium unseres Denkens und Handelns.
Mit New Work wird häufig Home-Office assoziiert. Ist denn New Work gleich Home-Office?
Steffen Rohr: New Work umfasst viele verschiedene Bereiche, unter anderem auch die Aspekte Arbeitsräume und Arbeitsorte. Davon ist Home Office ein Bestandteil, als kleine Teilmenge von New Work.
Julia Maria Kühne: Der Begriff Home-Office hat scheinbar zu einer Begriffserklärung von New Work geführt. Die Flexibilisierung der Arbeit war das erste praktische Beispiel für New Work.
Warum erlebt das Thema New Work so einen großen Aufschwung? Warum ist es für Unternehmen und Führungskräfte so wichtig, New Work gerade jetzt anzugehen?
Julia Maria Kühne: Wir beschäftigen uns schon lange mit unterschiedlichen Fragestellungen über Führungskräfte- und Personalmangel und darüber, wie man als Arbeitgeber attraktiv bleibt. Warum ist es jetzt so wichtig? Ich glaube das hängt damit zusammen, dass wir von einer doch sehr kaufmännisch BWL-getriebenen Sicht zu einer neuen Betrachtungsweise gelangen, in der die Bedeutung des Menschen, der Mitarbeiter und deren Können an Aufschwung gewinnt. Es gilt nicht mehr der Anspruch, von 9 bis 17 Uhr zu arbeiten und anschließend den Stift fallen zu lassen und nach Hause zu gehen. Die Generation jüngerer Leute aber auch viele etablierte Mitarbeiter möchten mehr bewirken. Hier sind wir bei einer Art „Sinnhaftigkeit“ angekommen: der Sinn der Arbeit. Wofür stehe ich morgens auf? Was kann ich bei meiner Arbeit gestalten? Die Bedürfnisse der Arbeitnehmer haben sich verändert, der Mitarbeiter möchte schlichtweg anders arbeiten. Dafür braucht er auch entsprechende Bedingungen. Deshalb ist der Arbeitgeber von Stadtwerken, Versicherungen oder Banken angehalten, sich ebenfalls zu verändern und auf diese Bedürfnisse einzugehen. Mobiles oder virtuelles Arbeiten, wie auch immer man es nennen möchte, erlebt deshalb einen sehr großen Aufschwung. Man konzentriert sich eben nicht mehr nur auf das reine Geschäft, sondern denkt auch intensiv darüber nach, wie neue Mitarbeiter oder neue Berufe dazu beitragen können. Unter Berücksichtigung dieser Entwicklungen muss man sich auch die Frage stellen: Wie lange können es sich Unternehmen noch leisten, sich nicht zu verändern?
Steffen Rohr: Wir leben heute in einer Welt, die sehr komplex und sehr stark von Wissen geprägt ist. Führungskräfte können von dieser Komplexität überfordert sein und müssen deswegen auch gewisse Dinge, seien es Aufgaben oder Entscheidungen, an Mitarbeiter abgeben, die über manche Themen besser Bescheid wissen als die Führungskraft selbst. Sowohl die Rolle der Führungskraft als auch die Rolle des Mitarbeiters muss sich verändern. Die schnelllebige und komplexe Welt ist ein Treiber für diese neuen Arbeitswelten.
Bedeutet New Work also auch New Leadership?
Steffen Rohr: Absolut! Wenngleich ich es nicht New Leadership nennen würde. Ich glaube, dass wir zukünftig mehr Leader brauchen und weniger Manager. Managementaufgaben, die heutzutage sehr viele Führungskräfte übernehmen, können und müssen verteilt werden. Weg vom reinen Manager, hin in Richtung Leader. Leader sind ganz andere Führungspersönlichkeiten: Menschen, die weniger bestehende Dinge verwalten, sondern eine klare Richtung vorgeben. Leadern gelingt es, Mitarbeiter zu motivieren, mit ihnen gemeinsam in diese Richtung zu gehen und Rahmenbedingungen für gute Arbeit zu schaffen. Und vor allem auch ihr eigenes Ego zurückzustellen.
Julia Maria Kühne: Genauso ist es! Ich bekomme oft die Frage gestellt, was eigentlich ein Leader ist. Das Bild, welches Steffen beschreibt, trifft es schon sehr gut. Das Zulassen und das Lernen von Fehlern ist noch eine weitere wichtige Eigenschaft eines Leaders. Eine derartige Fehler- und Feedback-Kultur gilt es im Unternehmen zu implementieren bzw. diese vorzuleben. Und dazu gehört auch, dass langjährige Führungskräfte sich und ihr Handeln selbst hinterfragen. Das braucht Stärke!
Wie gestaltet sich New Work in Energieunternehmen? Was hat sich bereits getan?
Julia Maria Kühne: Seit mittlerweile vier Jahren setze ich mich privat mit dem Thema New Work auseinander und seit drei Jahren auch im Kontext meines Jobs. Aktuell bewertet kann man sagen, dass viele Energieversorger sich im Prozess der Veränderung befinden. Man darf aber nicht vergessen, dass die Energiebranche sehr kommunal geprägt ist. Das heißt, wir haben oft durch Anteilseigner kommunale klassisch-hierarchische Strukturen. Deshalb geht der sogenannte allumfängliche "Change" in den mittelständischen Unternehmen jetzt gerade erst richtig los. Dazu gehört natürlich wesentlich mehr als nur New Work oder das allseits bekannte Home-Office. Das Thema ist in der Energiebranche im Kommen. Wobei ich es nicht unterschreiben würde, dass das Verständnis für Change und New Work jeder schon komplett verinnerlicht hat.
Ich möchte hier ein positives Beispiel eines Unternehmens nennen, welches sich schon umfangreich mit dem New-Work-Ansatz auseinandersetzt. Die EnBW ist als großer Energie- und Dienstleistungsversorger oft mit inhaltlichen Themen wie Arbeitsgestaltung dezentral aufgestellt. Wir wissen aus unterschiedlichen Projekten und Workshops, dass neben dem Personal auch die Abteilung Unternehmenskommunikation, der Vertrieb und der Kundenservice das Thema New Work vorantreiben. Das sind alles Fachbereiche, die das Puzzle letztendlich zusammensetzen. Bei der EnBW ist mir bekannt, dass sie ein großes Kulturprojekt gestartet haben, welches durch die Führungskräfte mit unterstützt wurde. Es wurden verschiedenste Austauschformate etabliert und ein neues Rollenverständnis vorgelebt. Mitarbeiter sollen mithilfe von Tools aktiv Ideen einbringen, zudem soll eine ausgeprägte Interaktion fernab einer Kaskade von unten nach oben, sondern eher im Sinne eines Netzwerkes erfolgen. Die EnBW ist aufgrund ihrer Tochterunternehmen und Start-ups außerordentlich gut vernetzt und hat ihre Organisationsstruktur in den letzten Jahren sehr stark umgebaut.
Was sind die größten Chancen von New Work?
Steffen Rohr: Für mich ist die Chance von New Work eine bessere Gesellschaft durch zufriedenere Menschen und mehr Nachhaltigkeit. Wenn das durch eine höhere Flexibilität, mehr Verantwortung und das Home-Office gelingen würde, wäre das eine tolle Sache. Und wenn wir nun weniger Dienstreisen antreten, da digitale Tools verstärkt Anwendung und Anklang finden, dann ist das natürlich auch ein nennenswerter Beitrag im Rahmen der Nachhaltigkeit.
Julia Maria Kühne: Für mich ist es die Bewusstseinsstärkung. Zu verstehen, was jetzt anders ist. Generell sind Fragen, die wir uns nun im Kontext von New Work stellen, klassische Fragen der Arbeitsgestaltung, sei es die Arbeitszeit oder der Arbeitsort etc. Das wird mitunter schon seit Jahrzehnten unter immer anderen Parametern diskutiert. Nichtsdestotrotz ist die Flexibilisierung und Selbstbestimmung, die die Kollegen jetzt verstärkt erlangen, eine der größten Chancen von New Work.
Und was sind auf der anderen Seite die größten Herausforderungen von New Work?
Steffen Rohr: Ich glaube die größte Herausforderung ist der Mensch. Menschen sind Gewohnheitstiere und man kann einen Menschen nicht einfach umprogrammieren. Manche fühlen sich auch in der alten Welt wohl, manche profitieren von dieser nach wie vor. Sie haben lange dafür gearbeitet, um in dieser bisherigen Welt zu Status zu gelangen. Wenn man in dieser Arbeitsumgebung sozialisiert ist, dann fällt es einem natürlich umso schwerer, sich dort zu wandeln. Deswegen bin ich davon überzeugt, dass ein entscheidender Punkt bei der Umsetzung und Etablierung neuer Arbeitswelten die Kommunikation mit den Mitarbeitern ist. Man muss ihnen erklären, wieso man sich verändern muss, welche Vorteile es bringt und wie man sich als Mitarbeiter aktiv einbringen und den Prozess mitgestalten kann.
Welche Instrumente gibt es, um die Arbeit in Richtung New Work zu transformieren?
Julia Maria Kühne: Ganz klar: Coaching. Da es sich hauptsächlich um Mitarbeiterorientierung, um mehr Gestaltung und Entscheidungsfindung bei Mitarbeitern dreht, muss dieser Prozess begleitet werden. Wir können es auch Training oder das Etablieren neuer Austauschformate nennen. Fakt ist, es bedarf einer Vernetzung, vor allem auch hierarchieübergreifend. Erfahrungswerte teilen, sich Dinge aus anderen Perspektiven ansehen, daraus lernen, weiter zu wachsen und sich weiterzuentwickeln, ist ein empfehlenswertes Vorgehen. Daraus kann viel Gutes entstehen.
Steffen Rohr: Kommunikation ist ein ganz wesentlicher Punkt. Es ist nichts Neues, das Kommunikation wichtig ist, aber dennoch entstehen zahlreiche Probleme in Unternehmen durch mangelnde Kommunikation. Bei der Kommunikation gibt es auch eine Vielzahl von neuen Formaten. Dazu zählen beispielsweise Daily’s, Reviews oder Retrospektiven. Egal wie man sie nennt, man hat feste Formate zu bestimmten Zeiten mit klar festgelegten Rollen und Zielstellungen. Dies sind Hilfsmittel, wie die Veränderung in der Rolle der Führungskraft und der Mitarbeiter gelingen kann.
Wir bedanken uns bei unseren beiden Experten für das Interview und die gewonnenen Eindrücke. Wenn Sie noch mehr zum Trend "New Work" erfahren, spannende Insights aus der Branche erhalten und mit Fachkollegen entscheidende Fragen bei der Gestaltung der zukünftigen Arbeitswelt diskutieren möchten, seien Sie am 27./28. Oktober 2020 bei unserem Campus Arbeitswelten dabei! Der Campus Arbeitswelten ist eine Veranstaltung mit klarem Branchenfokus auf Versicherungs- und Versorgungsunternehmen sowie Banken. Praktiker aus diesen Branchen geben Einblicke in ihre New-Work-Welt. Sie berichten darüber, wie sie sich dem Thema genähert haben, was funktioniert hat und was nicht.