Gemeinwohl ist die neue Daseinsvorsorge

Der gesellschaftliche Wert von Stadtwerken und Versorgungsunternehmen wird zunehmend bedeutender. Eine gemeinwohlorientierte Verankerung bietet langfristig die Chance, essenzielle Mehrwerte aufzudecken. Von welchen Faktoren der Gemeinwohlbeitrag abhängt und wie dieser die Unternehmensstrategie prägt, erfahren Sie im Beitrag.

Typ:
Blogartikel
Rubrik:
Unternehmensorganisation
Themen:
Stadtwerke Beteiligung Unternehmensorganisation Unternehmenskultur Arbeitswelten
Gemeinwohl ist die neue Daseinsvorsorge

Was ist der gesellschaftliche Wert eines Stadtwerkes?

In den letzten Wochen wurde die Dringlichkeit, sich mit dem Thema Gemeinwohl auseinanderzusetzen, besonders deutlich. Der gesellschaftliche Wert von Stadtwerken ist immer stärker in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Gerade die russische Invasion in der Ukraine hat uns eindringlich vor Augen geführt, wie essenziell die Versorgungssicherheit mit Strom, Wärme und Wasser ist. Sich jedoch in diesem Kontext ausschließlich darauf zu beziehen, wäre mit Sicherheit zu kurz gesprungen. Denn die Fragen nach dem Wert eines Unternehmens und dem Wofür dessen Existenz überhaupt benötigt wird, sind viel älter und somit das Erfordernis, sich damit auseinanderzusetzen, ebenfalls. Unsere Leipziger New Work Studie1 ergab, dass vor allem viele junge Mitarbeiter aus den Generationen “Y” und “Z”, aber auch die Generation "50-Plus", einen Sinn in ihrer Arbeit finden möchten. Worin besteht also dieser Sinn, der Wert oder der Beitrag, den ein Stadtwerk bietet?

Wir könnten nun klassisch mit der Daseinsvorsorge antworten, also der grundsätzlichen Aufgabe des Staates, Güter und Leistungen bereitzustellen, die für ein menschliches Dasein notwendig sind.2 Ein Begriff, der sicher in die Jahre gekommen ist, denn schließlich stammt dieser noch aus der Zeit des Dritten Reichs und würde den Sinn eines Stadtwerks zu kurz kommen lassen. Vielmehr ist ein Stadtwerk „Umsetzer der Energiewende vor Ort“, sichert und entwickelt die Lebensqualität in der Region, fördert Kultur und gesellschaftliches Leben, bzw. macht dies überhaupt möglich, schafft Arbeitsplätze und sichert soziale Funktionen ab.

Leider werden diese und weitere gesellschaftliche Aufgaben, welche ein Stadtwerk übernimmt, zu selten sichtbar. Die Diskussionen von zahlreichen Verantwortlichen aus Stadtwerken und Versorgungsunternehmen mit ihren kommunalen Aufsichtsräten und Stadtverordneten begrenzt sich zu häufig auf die Höhe der Gewinnabführung. Die Investitionen entlang der gesellschaftlichen Aufgabe und Verantwortung, eben der Gemeinwohlbeiträge eines Stadtwerkes, werden dabei viel zu wenig beachtet. Kunden legen ihren Fokus ebenfalls verstärkt auf einen bewussteren Konsum, Nachhaltigkeit oder Lokalität. Auch die Moral des Unternehmens steht immer mehr im Vordergrund. Unsere aktuelle Umfrage mit dem Titel "Status quo und zukünftiger Ausblick zur Energiepreisentwicklung" verdeutlicht, dass dies auch Versorger als Chance für mehr Kundenbindung und -interaktion sehen.3

Stadtwerke können durch die Aufstellung als gemeinwohlorientierte Unternehmen veraltete Denkmuster durchbrechen und echte Mehrwerte aufzeigen. Sie besitzen die besten Voraussetzungen, um aus jener Ecke der “reinen” Daseinsvorsorge bzw. -fürsorge herauszutreten. Sobald ein Unternehmen mit seinen Stakeholdern seine eigenen Gemeinwohlbeiträge für sich formuliert hat, kann es intern und extern in diesen agieren und auftreten.

Holzklötze mit Personen werden in einem Netzwerk angeordnet

Was ist Gemeinwohl und wie setzt es sich zusammen?

Wir als Menschen interagieren miteinander. Organisationen sind wichtiger sozialer Bestandteil dieser Interaktion und unserer Gesellschaft, denn sie übernehmen wichtige Funktionen in dieser (z.B. Produktion, Arbeitsplätze, Steuern, Arbeiten in Zivilgesellschaft etc.) und prägen sie. Organisationen machen Gesellschaft und schaffen dadurch Public Value.4 Prof. Dr. Timo Meynhardt (Lehrstuhl für Wirtschaftspsychologie und Führung, HHL Leipzig Graduate School of Management) definierte es 2008 wie folgt: „Gemeinwohl wird erst dann geschaffen oder zerstört, wenn das individuelle Erleben und Verhalten von Personen und Gruppen so beeinflusst wird, dass dies stabilisierend oder destabilisierend auf Bewertungen des gesellschaftlichen Zusammenhalts, das Gemeinschaftserleben und die Selbstbestimmung des Einzelnen im gesellschaftlichen Umfeld wirkt.“

Wichtig ist, dass es eine allgemeine Definition von dem, was Gemeinwohl schafft, nicht geben kann, auch wenn z.B. die Gemeinwohlökonomie dies anstrebt. Der Gemeinwohlbeitrag eines Unternehmens muss stets in einem Diskurs mit den wichtigsten Stakeholdern, vor allem den Mitarbeitern, Kunden, Lieferanten, dem Management, Shareholdern und der (lokalen) Gesellschaft entwickelt werden. Dazu sollten die Dimensionen Aufgabenerfüllung, Moral, Zusammenhalt, Lebensqualität und Profitabilität des sogenannten Gemeinwohl-Radars berücksichtigt werden. In Zusammenarbeit mit dem Forum Gemeinwohl und Prof. Dr. Timo Meynhardt hat die LF Gruppe dazu ein Vorgehen zur Erhebung für mittelständische Unternehmen entwickelt und selbst erprobt. Die Ergebnisse folgen in Kürze.

Gemeinwohl als Teil der Unternehmensstrategie und des Zukunftsbildes/ Purpose

Die Corona-Pandemie bezeichnet Matthias Horx als erste Tiefenkrise, denn sie hat alle Menschen in jeder Lebenslage getroffen.5 Sie hat uns dazu geführt, über unseren eigenen Einfluss auf Ereignisse nachzudenken und für viele die Frage nach der Selbstwirksamkeit aufgestellt, ob im Beruf oder privaten Leben. Aus diesem Grund ist es ebenfalls von zentraler Bedeutung, seinen Mitarbeitern den Sinn ihrer Tätigkeit aufzuzeigen bzw. sie diesen entwickeln zu lassen. Für eine Organisation ist es wichtig, ein Zukunftsbild mit einer starken Strahlkraft zu entwickeln, oder wie es Antoine de Saint-Exupery beschrieb: „Wenn Du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.“ Sicherlich gibt es viele Modelle, in denen dies erarbeitet werden kann, ob klassisch mit Vision, Mission, dem “Golden Circle” oder bspw. dem Leipziger Führungsmodell. Letzteres legt dar, dass in Wirtschaft und Gesellschaft immer stärker ein Fokus auf den Purpose, also dem Zusammenwirken aus Wohlfahrtsschaffung und Mission des Unternehmens, gelegt wird. „Der „Purpose“ hebt die Zweck-Mittel-Relation in der Führungsarbeit hervor, d.h. die Frage nach dem Warum, dem Ziel und Zweck einer Arbeitsaufgabe, aber auch nach der Legitimation eines Geschäftsmodells, eines ganzen Unternehmens und letztlich der marktwirtschaftlichen Grundordnung insgesamt.“6

Die Energieforen haben ein Modell entwickelt und u.a. bereits bei den Stadtwerken Ulm, den Stadtwerken Wörgl oder der EW Bautzen erfolgreich eingesetzt. Das Ziel bestand darin, strategische Leitsätze als Zukunftsbild zu formulieren und mit einem klaren, orientierungsgebenden ersten Leitsatz zu versehen. Die Gemeinwohlbeiträge eines Unternehmens sind dabei essenzieller Bestandteil dieses Zukunftsbildes.

Grafik Zukunftsbild

Langfristige Verankerung im Unternehmen und bei Stakeholdern mit dem Reifegradmodell

Gemeinwohl könnte schnell wieder als eine kurzlebige Sache abgestellt werden, die aktuell "en vogue" ist. Dies darf jedoch nicht passieren, denn dazu ist die Relevanz für die Legitimation für Stadtwerke zu hoch. Es gibt bereits heute erste Organisationen, die all ihre Entscheidungen an ihren Gemeinwohlbeiträgen ausrichten. Mit dem Forum Gemeinwohl haben wir als LF Gruppe ein Reifegradmodell aufgestellt, um die Verankerung im Unternehmen anhand folgender Kategorien zu messen:

  • Management / Strategische Ausrichtung
  • Management / Operationalisierung / Realisierung
  • Kompetenzen
  • Kommunikation

Unser Engagement und unsere Einladung an Sie

In diesem Artikel wird deutlich erkennbar, dass sich die Energieforen stark mit dem Thema auseinandersetzen und eng mit dem Forum Gemeinwohl und der HHL zusammenarbeiten. Wir wollen dieses wichtige Thema für Stadtwerke und Organisationen in der Versorgungswirtschaft greifbar machen, um mit Ihnen Zukunft nachhaltig zu gestalten. Dazu möchten wir Sie herzlich einladen, in einen Dialog, Austausch und eine Community der gemeinwohlorientierten Unternehmen einzusteigen. Kommen Sie auf uns zu! Wir freuen uns, den Weg gemeinsam mit Ihnen zu gehen.

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Quellen:

1Leipziger New Work Studie (energieforen.de)

2Vgl. Daseinsvorsorge | bpb.de

3Status quo und zukünftiger Ausblick zur Energiepreisentwicklung 

4Vgl.  Public Value: «Wertschöpfung, Gemeinwohl und ich» - YouTube

5Vgl. Matthias Horx: Nur Mut!, Zukunftsinstitut, 2020

6Leipziger Führungsmodell, Handelshochschule Leipzig, HHL, 2019