Transformation statt Energiewende
Wie wird sich die Zukunft der Energiewende gestalten? Welche Energieträger können die Versorgungssicherheit weiterhin gewährleisten? In einem Interview skizziert Dr. Ralf Bartels, Abteilungsleiter des IG BCE Innovationsforums Energiewende, ein Zukunftsbild eines gesellschaftlichen Transformationsprozesses.
Die Energiewende ist seit Jahren der treibende Faktor für die meisten Veränderungen in der Energiebranche. In Verbindung mit den verabschiedeten Klimazielen beherbergt die Wende allerdings ein weitaus disruptiveres Potential als in vielen Diskussionen gesehen wird. Statt eine isolierte Energiewende zu betrachten, ist es wichtig, auch die Sektorkopplung und die Klimaschutzpolitik miteinzubeziehen. Das Ergebnis ist eine ganzheitliche Betrachtung von Veränderungsprozessen, die im Kern die Energiebranche betreffen und das aktuelle Jahrhundert noch maßgeblich beeinflussen werden. Wie diese Zukunft aussieht, haben wir im Gespräch mit Dr. Ralf Bartels herausgefunden.
Dr. Ralf Bartels ist seit 2006 für die Energiepolitik der Industriegewerkschaft Bergbau Chemie Energie zuständig. Seit 2019 leitet er dort die Abteilung Wirtschafts- und Nachhaltigkeitspolitik im Vorstandsbereich 1 Gesamtleitung. Er ist Gründungsmitglied und geschäftsführender Vorstand des IG BCE Innovationsforums Energiewende.
Herr Dr. Bartels, Sie sagen, dass wir nicht nur von der Energiewende sprechen sollten, sondern von der Transformation der Energiewirtschaft. Wie ist das zu verstehen?
Ziel der Wende ist Treibhausgasneutralität, nicht nur in der Energiewirtschaft, sondern auch in den Sektoren Industrie, Verkehr, Gebäude/Wärme und Landwirtschaft. Das bedeutet zusammengenommen einen fundamentalen gesellschaftlichen Transformationsprozess.
Das Umweltministerium hat jetzt eine Klimaregierungs-Struktur aus Klimaschutzplan 2050, Klimaschutzprogramm 2030 und Klimaschutzgesetz 2019 vorgelegt. Außerdem verfolgt es die 17 Strategischen Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen für 2030. Daneben erstellt das Bundeswirtschaftsministerium eine „Nationale Industriestrategie“, in der das alles kaum vorkommt. Gleichzeitig beschäftigen sich sowohl Wirtschafts- als auch Finanzministerium mit dem konjunkturellen Abschwung und einer drohenden Rezession und lassen das Institut der deutschen Wirtschaft und das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung gemeinsam an einem Investitionsprogramm arbeiten. Das alles aufeinander zu beziehen und konsistent in einen „Transformationsplan 2050“ zu schreiben, wäre ein Schritt in Richtung wirklich großer und den heutigen Verhältnissen angemessener Politik.
Bezogen auf die Energieversorger und Netzbetreiber, wo liegen Ihrer Meinung nach die größten Risiken für die aktuellen Geschäftsmodelle der Branche?
In Zukunftsstrategien, die nur auf einer Fortschreibung des heutigen Strommarkts ohne Sektorkopplung beruhen. Zum Beispiel würde allein eine treibhausgasneutrale chemische Industrie, die dazu von kohlenstoff- auf strombasierte Verfahren umgestellt werden müsste, bei gleicher Produktionsmenge wie heute den Strombedarf von 54 Mrd. kWh auf 628 Mrd. kWh erhöhen. Also, etwa die Menge unseres heutigen Gesamtstromverbrauchs in Deutschland allein für die chemische Industrie – und natürlich allein aus erneuerbaren Quellen. Insgesamt rechnet das Wuppertal-Institut trotz Effizienzsteigerungen mit einer Verdreifachung des Strombedarfs in Deutschland bis 2050. Andere rechnen mit noch mehr.
Wir brauchen dringend eine Planung, wie diese Ziele erreicht werden sollen. Dazu gehören:
- ein neuerer Ausbaupfad für Erneuerbare Energien in Deutschland,
- eine neue Netz- und Speicherplanung und
- vor allem eine offene Diskussion über den künftigen Import erneuerbarer Energieträger in Form von Strom oder Wasserstoff.
Wenn wir davon ausgehen, wie kann die Versorgungssicherheit in der Zukunft gewährleistet werden und auf welche Energieträger sollten wir setzen?
Die schwankende Einspeisung von Wind- und PV-Strom wird mit dem Anteil erneuerbarer Energien zunehmen. Wenn wir nach 2022 aus Kern- und nach 2038 aus Kohleenergie ausgestiegen sein werden, wird neben Wasserkraft nur Gas bleiben, um bei Dunkelflaute Strom zu erzeugen und mit rotierenden Massen Systemstabilität aufrechtzuerhalten. Um treibhausgasneutral zu werden, muss dieses Gas in den 30er und 40er-Jahren zunehmend von Erdgas zu aus erneuerbaren Energien synthetisch erzeugtem Gas werden. Dann wird der zukünftige Energieträger, auf dem unsere Versorgungssicherheit beruht, Wasserstoff sein.
Wir danken Herrn Dr. Bartels für das Interview! Auf dem Fachkongress Finanzen & Controlling der Energieforen am 17./18. März 2020 können Sie sich mit Herrn Dr. Bartels und weiteren Experten gern näher über die Zukunft der Energiewirtschaft und die damit einhergehenden Debatten austauschen. Sie sind herzlich zum Mitdiskutieren eingeladen!