Lokal vernetzt: Geschäftsmodell und Energiewende im Ökosystem gestalten

Im Interview erklärt Hans-Martin Hellebrand, Vorstand der badenova, wie das Unternehmen den Wandel hin zu Erneuerbaren Energien und dezentralen Lösungen gestaltet. Durch das „Energiewende@home“-Konzept und die Zusammenarbeit mit regionalen Handwerkern und Partnern wird eine nachhaltige Energiezukunft vorangetrieben.

Typ:
Blogartikel
Rubrik:
Strategie und Innovation
Themen:
Energiewende Wärme Dezentrale Energieversorgung Digitalisierung Netz
Lokal vernetzt: Geschäftsmodell und Energiewende im Ökosystem gestalten

In einem aufschlussreichen Interview sprechen wir mit Hans-Martin Hellebrand, Vorstand der badenova, über die tiefgreifenden Veränderungen im Energiesektor und die Herausforderungen für Unternehmen. Von der Dezentralisierung des Marktes, der Finanzierung neuer Geschäftsmodelle wie das „Energiewende@home“-Konzept und die Bedeutung von Partnerschaften für die erfolgreiche Umsetzung der Wärmewende – Hellebrand teilt seine Vision der badenova und deren strategische Entscheidungen für eine nachhaltige Zukunft.

Energieforen: Die Branche ist derzeit von sehr großen Umbrüchen geprägt. Wo sehen Sie die größten Umbrüche und die stärksten Herausforderungen für die badenova?

Hans-Martin Hellebrand: Da gibt es einige Umbrüche! Zum einen sehe ich natürlich den Umbruch des Energiesystems insgesamt, also weg von fossiler hin zu erneuerbarer Erzeugung. Dieser steht dann zum anderen im Kontext vieler weiterer Wandlungen und Trends wie beispielsweise der Nutzung von neuen Technologien, der Digitalisierung und neuen Arbeitswelten. In Summe ist dies dann Transformation in einem transformativen Umfeld – also „VUKA im Quadrat“. Größer kann eine Herausforderung fast nicht sein.  

Energieforen: All diese Themen wollen auch finanziert werden. Womit verdient der Versorger in drei bis fünf Jahren eigentlich das Geld und wie beurteilen Sie die Situation in zehn Jahren?

Hans-Martin Hellebrand: Das ist eine spannende Frage. Bei all dem, was wir uns gerade vorgenommen haben, darf man nicht vergessen, dass es Unternehmen sind, die diesen Umbau gestalten. Diese müssen am Markt lebensfähig sein und auch entsprechende Gewinne generieren.

Als Income-Stream in den nächsten fünf Jahren sehe ich einen deutlichen Shift weg von Commodity-Produkten hin zu dezentralen Energielösungsprodukten. Zunächst muss man das Endkundengeschäft verstehen als eines, bei dem man Kunden zunächst über die Vermittlung von Wärmepumpen, PV-Anlagen, HEMS-Systemen etc. in die dezentrale Energie- und Wärmewende hilft – sie also bei ihrer persönlichen Wende begleitet. Wir als badenova machen das über eine eigens aufgebaute Handwerkerplattform, bei der wir zunächst digital beraten und dann Handwerker und Systeme vermitteln, so wie sie der Kunde bzw. die Kundin braucht. Danach gilt es natürlich diese dezentralen Lösungen auch zu organisieren und zu orchestrieren. Da bleibt immer noch das Thema Reststromvermarktung als Aspekt und überhaupt die Aussteuerung von Energieflüssen als weiterer Income-Stream, den man in fünf Jahren sicherlich für sich erschließen kann.

Mit Blick auf zehn Jahre wird die Frage dann schon interessanter. Wenn ich nach vorn schaue, sehe ich in zehn Jahren ein hochkomplexes, stark dezentrales System mit mehrdimensionalen Energieflüssen. Die Hauptaufgabe des Energieversorgers wird darin bestehen, dieses System gesamthaft effizient und effektiv zu orchestrieren. Die Kernfrage ist dabei: Wie stellt man sicher, dass das Elektron (oder das Molekül), welches irgendwo produziert wird, zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist? Das geht dann über verschiedene Stufen zur Frage, wie ich das gesamte System und Netz über mehrere komplexe Einheiten organisiere.

Energieforen: Ihr nennt das Ganze bei euch Energiewende@home. In der Branche spricht man teilweise schon vom Freiburger Modell. Dahinter liegt in der Theorie ein funktionierendes, lokales Business-Ökosystem. Jetzt stehen viele vor der kommunalen Wärmewende und der gelingenden Zusammenarbeit mit Handwerkern. Wie lautet euer Geheimrezept?

Hans-Martin Hellebrand: Das Ökosystem, was wir aufgebaut haben, ist ein lokaler Markt für dezentrale Energielösungen. Es geht damit los, dass wir zunächst aufnehmen, wie die aktuelle Energierealität bei unseren Kundinnen und Kunden aussieht. Im Anschluss beraten wir entlang von individuellen Zielen, was ein guter nächster Schritt sein kann. Ist es also eher der Wunsch nach Autarkie, mehr Nachhaltigkeit etc. Wenn wir diesen Plan haben, erstellen wir diese optimalen Lösungen über ein Marktplatzsystem im Zusammenspiel mit verschiedenen regionalen Akteuren: Wir schärfen die Angebote der Hardware-Partner, beispielsweise die Wärmepumpe eines bestimmten Herstellers, und finden dann den richtigen Handwerker in der Region, der diese Wärmepumpe zielgerichtet verbaut. Darüber hinaus haben wir weitere Partner in Form von Banken und Versicherungen, die dann wiederum sicherstellen, dass diese dezentrale Energielösung auch finanziert werden kann und nachher gut abgesichert ist.

Basis dieses Ökosystem-Geschäftsmodells ist natürlich eine ausgeprägte und gut ausgesteuerte digitale Plattform, die dann wiederum natürlich hervorragend geeignet ist, um auch skaliert zu werden. Wir als badenova sind offen dafür, dieses Marktplatzkonzept, und zwar nicht nur Technologie, sondern auch Business-Logiken, Bestellstrecken, innere Intelligenz etc. auch anderen Energieversorgern „as a service" zur Verfügung zu stellen. Damit möglichst viele diesen Ansatz im eigenen Marktgebiet nachbauen und wir so insgesamt mit zunehmenden Skalenvorteilen für alle Nutzer der Plattform die Energie- und Wärmewende vorantreiben können. Man kann mit so einem Plattform- und Ökosystemansatz recht schnell die Lösungen zielgerichtet an die Menschen bringen – und das wiederum im Zusammenspiel mit den eigenen regionalen Partnern, die man an diesen Marktplatz andockt.

Energieforen: Wie habt ihr auch die Partner auf dem Weg mitgenommen?

Hans-Martin Hellebrand: In erster Linie kommunikativ. Wir haben von Anfang an immer das offene und ehrliche Gespräch gesucht. Denn ein Ökosystemansatz ist ein freiwilliges Partnernetzwerk, welches nur dann funktioniert, wenn jeder einen eigenen Nutzen im Marktplatzmodell realisieren kann.  

So haben wir in einem ersten Schritt das Handwerk gefragt, ob es von Interesse sein könnte, wenn wir als badenova Kundinnen und Kunden vermitteln. Im Gespräch stellte sich heraus, dass ein Ökosystemansatz tatsächlich auch für ein gut gebuchtes Handwerk Vorteile hat. Insbesondere, weil die Aufträge schon vorkonfektioniert sind, da wir als badenova beispielweise bereits die digitale Vorberatung sowie die Erstgespräche übernehmen. Gleichzeitig haben uns aber auch Banken und Versicherungen gespiegelt, dass sie ein hohes Interesse daran haben, im entscheidenden Moment des Bestellabschlusses eingewoben zu werden, um aus Kundensicht nahtlos und zur richtigen Zeit Finanzierungsoptionen anbieten zu können.

Für mich zeigen diese Beispiel sehr anschaulich, dass wenn man das offene Gespräch sucht und a) Mehrwerte offenbart sowie b) den eigenen Nutzen definiert, man ganz automatisch zu tollen Modellen und einer natürlichen Weiterentwicklung des Ökosystems kommt.

Energieforen: Viele Versorger halten eine Skalierung für ihren Heimatmarkt schlicht für nicht möglich. Einige neue Konkurrenten auf dem Markt nutzen hingegen bereits den gesamten deutschen- oder sogar internationalen Markt zur Skalierung. Inwiefern hat die badenova dies anders bewertet?

Hans-Martin Hellebrand: Bevor wir angefangen haben, Marktpotenziale auszumultiplizieren, haben wir unsere Kundinnen und Kunden gefragt, was sie von uns erwarten. Man hat uns gespiegelt, dass wir als Energieversorger „der Partner für Energie im Hier und Jetzt sind“.  Außerdem besteht klar der Wunsch, die Reise in die persönliche Energiezukunft patent aufzuzeigen und diese dann als Partner mitzugehen. Für die meisten Menschen ist das Thema Energie hochkomplex. Die Marktteilnehmer in Form unserer Kundschaft wünschen sich uns daher klar in der Position des Generalunternehmers. Diese Position sollten wir zur Sicherstellung eines nachhaltigen Unternehmenserfolges dann auch einnehmen! Wenn man hierfür dann vordefinierte Plattformen, wie das von uns aufgebaute und angebotene „as-a-Service“-Modell nutzt, stellt man fest, dass ein System, bei dem beispielsweise Handwerker eingebunden werden, auch schon bei geringen Größen effizient und wirtschaftlich betrieben werden kann. So haben wir in den letzten 24 Monaten über 1.000 Anlagen verkauft und das größte Handwerker-Netzwerk Südbadens mit mehr als 100 Playern aufgebaut.

Ich kann somit jedes Stadtwerk nur ermutigen ins Handeln zu kommen,  da Plattformansätze auch einen kleinen Start ermöglichen und man das Thema mit einem starken Partnernetzwerk sehr gut adressieren kann.

Energieforen: Die badenova hat sich eine klare Vision gegeben: „Für eine lebenswerte Zukunft gestalten wir die Energie- und Wärmewende. Mit der Region, für die Region.“ Wie wichtig sind Purpose-Statements aus Ihrer Sicht für eine moderne Organisation?

Hans-Martin Hellebrand: Für mich ist es das A und O – des Pudels Kern, nach Goethes Definition. Es ist ganz wichtig, dass sich ein Unternehmen diese Fragen stellt: „Wer möchten wir morgen sein? Wofür soll es uns morgen geben?“ Unser Team hat sich unser Zielbild als Orientierungspunkt und „Nordstern“ erarbeitet und gleichzeitig das Ganze mit viel persönlicher Energie aufgeladen. Nur wenn man die gemeinsamen Ziele klar definiert und in der kompletten Mannschaft verankert hat, kann man eine Unternehmenstransformation erfolgreich gestalten. Besonders wenn sich die ganze Welt um uns herum immer schneller wandelt, müssen wir eine große Klarheit haben, wohin wir wollen, um so die richtigen Puzzleteile für unsere Mission zu identifizieren. Das mobilisiert Kräfte.

Energieforen: Was hat die badenova denn beispielsweise nicht umgesetzt, weil es nicht in euer Zukunftsbild passte?

Hans-Martin Hellebrand: Wir haben das Thema Ladeinfrastruktur at scale nicht für uns in den Fokus genommen. Nicht, weil Ladeinfrastruktur etwas Schlechtes ist oder Energieversorger dieses Themenfeld grundsätzlich nicht machen sollten, sondern weil wir auf Basis unseres Zielbildes und der Wettbewerbssituation im Marktgebiet schlicht andere Schwerpunkte für uns gesehen haben, wie beispielsweise die Gestaltung der Wärmewende in der Region. Dadurch waren die Investitionen in Wärmenetze – aber auch die Ertüchtigung unseres Stromnetzes sowie der Ausbau von erneuerbarer Erzeugung, bei uns so maßgeblich und dominant, dass wir ein flächendeckendes Ladenetz nicht mit Prio A verfolgen konnten. Ähnlich verhält es sich bei uns mit dem Thema Breitbandausbau. Diese zwei Beispiele zeigen sehr anschaulich: Strategie besteht vor allem auch darin eine Klarheit zu haben, welche Dinge man nicht macht!

Energieforen: Welche Rolle spielen die Energieforen für euch als badenova?

Hans-Martin Hellebrand: Eine zunehmend wichtigere! Wir haben ein großes Interesse daran, die Energieforen jetzt noch stärker zu nutzen, um einfach gemeinsam Energiezukunft zu gestalten. Was wir gelernt haben, und das zeigt auch unser Ökosystemansatz: Mit Partnern ist man meistens besser, zielgerichteter und erfolgreicher unterwegs, indem man Dinge vielseitiger betrachtet, gemeinsam entwickelt und so auch Skalenvorteile hebt. Da halte ich die Energieforen für eine ganz exzellente Austauschplattform, um dies in Zukunft noch viel stärker zu tun.

Vielen Dank für das Interview!

Das Gespräch mit Hans-Martin Hellebrand wurde von Raphael Noack, geschäftsführender Gesellschafter der Energieforen, geführt. 

Wir freuen uns, Hans-Martin Hellebrand als Speaker auf dem Energy for Future Leaders Kongress 2025 begrüßen zu dürfen. Mehr Informationen erhalten Sie hier ➡️ Energy for Future Leaders Kongress 2025