Kooperation statt Konkurrenz: Warum Stadtwerke wieder stärker auf Start-ups setzen sollten
Eric Weber (SpinLab) und Raphael Noack (Energieforen) sprechen im Interview über die entscheidenden Erfolgsfaktoren sowie Herausforderungen der Zusammenarbeit zwischen Stadtwerken und Start-ups im Zeitalter der Energiewende und die neue Kooperation zwischen beiden Unternehmen.
v.l.n.r.: Tobias Frevel ( Energieforen), Eric Weber & Raphael Noack (Energieforen)
Eric Weber, CEO & Founder der SpinLab Accelerator GmbH, hat nach Ranking-Angaben der Financial Times eines der besten Start-up-Hubs in Europa gegründet. Darüber hinaus ist er Mitbegründer und Venture-Partner von Smart Infrastructure Ventures und Mitglied verschiedener Beiräte großer Unternehmen und öffentlicher Verwaltungen. In einem Interview schildern Eric Weber und Raphael Noack (Geschäftsführer der Energieforen) die Gründe für das Initiieren einer gemeinsamen Zusammenarbeit.
Frage an Raphael Noack: In der Energiewirtschaft gab es vor einigen Jahren einen Hype um die Zusammenarbeit mit Start-ups, doch viele Stadtwerke haben sich nach ersten, zum Teil weniger erfolgreichen Erfahrungen wieder umorientiert. Woraus resultiert also jetzt diese Zusammenarbeit mit dem SpinLab?
Raphael Noack: Die Versorgungswirtschaft, insbesondere die Stadtwerke, stehen vor einer enormen Transformation. Dazu gehören unter anderem der Umbau der Netze und Infrastrukturen einschließlich ihrer Digitalisierung und die Entwicklung von Smart Cities und Smart Regions. Darüber hinaus müssen Erneuerbare Energien ausgebaut, die Wärmewende erfolgreich gestaltet und Geschäftsprozesse digitalisiert werden. Auch eine nachhaltige Unternehmensentwicklung und ein Kulturwandel in Richtung Digitalisierung, Innovation und Serviceorientierung sind notwendig. Diese Herausforderungen erfordern neue Wege, die nicht allein aus der Energiewirtschaft kommen können. Zunehmend treten neue Marktteilnehmer auf, die die Stadtwerke in ihren Kernmärkten überholen, wie z.B. Enpal oder 1komma5. Ein entscheidender Erfolgsfaktor wird daher sein, wie rasch sich die Versorger anpassen und innovative Lösungen schnell integrieren können.
Frage an Eric Weber: Welche Faktoren sind entscheidend für eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Start-ups und Versorgern? Und was macht diese Partnerschaften für Start-ups besonders attraktiv?
Eric Weber: In der Vergangenheit gab es tatsächlich einige negative Erfahrungen vor allem, weil beide Seiten mit falschen Erwartungen an die Partnerschaft herangegangen sind. Viele Stadtwerke wollten sich exklusive Rechte an Start-ups sichern, sei es durch strategische Beteiligungen, oft über Sperrminoritäten hinaus, oder durch exklusive Nutzungsrechte für gemeinsam entwickelte Technologien. Sie dachten, dass sie durch ihre finanzielle Unterstützung das Recht dazu hätten. Diese übermäßige Kontrolle kann Start-ups jedoch erdrücken und das Gegenteil von dem bewirken, was eigentlich gewünscht ist: Agilität und innovative, marktgerechte Lösungen. Stattdessen entsteht oft eine adverse Selektion, weil nur Start-ups, die unerfahren oder ohne bessere Optionen sind, solche Bedingungen akzeptieren. Auf der anderen Seite unterschätzen manche Start-ups die Anforderungen an Zuverlässigkeit und Compliance im Energiesektor. Sie haben oft nicht genug Verständnis für langwierige Prozesse oder dafür, warum ihre Ideen und Features nicht sofort angenommen werden. Es braucht also eine Art Übersetzer zwischen den beiden Welten sowie einen transparenten und klaren Prozess. Einfache Fragen wie: "Was muss erreicht werden, damit das Start-up den Versorger als Referenz nennen darf?" oder "An welchen konkreten KPIs wird der Erfolg gemessen?" müssen frühzeitig strukturiert geklärt werden. Der Teufel steckt aber häufig im Detail, insbesondere wenn es an die technische Umsetzung oder rechtliche Fragen geht. Und genau da hilft ein klar strukturierter Venture-Clienting-Prozess, der von außen überblickt wird.
Frage an Eric Weber: In welchen Feldern können das SpinLab bzw. eure Start-ups, Versorger unterstützen?
Eric Weber: Wir helfen Versorgern, aus der Vielzahl an Start-ups diejenigen herauszufiltern, die nicht nur relevante Probleme lösen, sondern auch das Potenzial haben, sich mit ihrem Team und ihrer Struktur am Markt durchzusetzen. Daher liegt die Ausfallquote der Start-ups bei uns unter 15 Prozent. Die Schwerpunkte bei der Auswahl der Start-ups passen wir kontinuierlich gemeinsam mit unseren Partnern aus der Energiewirtschaft an. Derzeit werden insbesondere KI-Optimierungen für den Infrastrukturbetrieb, Compliance und Vertrieb gesucht, aber auch Lösungen im Bereich Wasserstoff und Speichertechnologien.
Frage an Raphael Noack: Könnte es für Stadtwerke eine Alternative sein, angesichts der Komplexität in der Zusammenarbeit mit Start-ups, ihre Wertschöpfungstiefe zu steigern und verstärkt auf eigene Ressourcen zu setzen?
Sicherlich gehört es zur Strategie der Stadtwerke, verstärkt an der Wertschöpfungskette zu partizipieren. Das bedeutet vor allem, die Komplexität für die Kundinnen und Kunden zu reduzieren und Lösungen aus einer Hand anzubieten. Dafür braucht es jedoch ein funktionierendes Business-Ökosystem, das die bestehenden Herausforderungen und die Komplexität abbildet. Dieses Ökosystem muss nicht nur Ideen zur Problemlösung bieten, sondern auch das notwendige Know-how, Kapazitäten sowie eine breite Palette an Ressourcen und Entwicklern bereitstellen.
Gleichzeitig müssen sich die Stadtwerke, insbesondere im Kontext der Energiewende, auf ihr Kerngeschäft konzentrieren. Dabei ist es unverzichtbar, Partner in den Prozess einzubinden. Diese Partner sollten unbedingt auch aus dem Start-up-Bereich kommen, da die Herausforderungen der Zukunft nach neuen Ideen und Innovationskraft verlangen. Ohne diese Synergien wäre das Gesamtsystem ineffizient, da keine gemeinsamen Lösungen genutzt werden könnten. Es wäre beispielsweise nicht sinnvoll, dass ein einzelner Versorger ein eigenes Large Language Model (LLM) für einen Dokumenten-Chat entwickelt, wenn es bereits passende Marktlösungen gibt, die von mehreren Versorgern genutzt werden können.
Frage an Raphael Noack: Warum haben sich die Energieforen für die Zusammenarbeit mit dem SpinLab entschieden und wie soll das Ergebnis aussehen?
Raphael Noack: Das SpinLab gehört zu den Top 15 Acceleratoren in Europa und hat sich insbesondere auf die Versorgungswirtschaft und Smart Cities spezialisiert. Ein großer Vorteil eines Accelerators ist, dass die Start-ups bereits erste funktionierende Lösungen haben, was einen direkten Andockpunkt für die Stadtwerke darstellt. Wir sind überzeugt, dass für die notwendige Transformation genau diese Art von Innovationskraft gebraucht wird, die das SpinLab mit seinen Start-ups, seinem Know-how und seinem Netzwerk bietet. Ein weiterer Grund ist, dass wir uns als Energieforen direkt oder indirekt an Lösungen beteiligen und sie auf dem Markt anbieten möchten. Die räumliche Nähe in der Energiemetropole Leipzig war sicherlich ebenfalls ein Faktor.
Frage an Eric Weber: Was versprecht ihr euch beim SpinLab von der Kooperation?
Eric Weber: Die Energieforen sind eines der am besten vernetzten Unternehmen in der deutschen Energiewirtschaft. Wenn Start-ups es durch Pilotprojekte mit unseren Partnern schaffen, marktreife Lösungen zu entwickeln, geht es darum, schnell weitere Anwender zu gewinnen. Veranstaltungen wie die User Groups oder dedizierte Events wie die GO.DIGITAL bieten den Start-ups die Möglichkeit, direkt mit Versorgungsunternehmen aus dem Netzwerk der Energieforen in Kontakt zu treten. Das passt hervorragend zusammen und ist ein großer Mehrwert für beide Netzwerke.
Frage an beide: Worauf dürfen sich eure Netzwerke konkret freuen?
Beide: Bei der GO.DIGITAL 2024 wird die Start-up-Lounge vom SpinLab gestaltet und die Start-ups werden in die User Groups integriert. Außerdem werden sie beim Energy for Future Leaders Kongress 2025 eingebunden, unter anderem mit einer Führung am zweiten Veranstaltungstag, dem sogenannten Future Day. Es wird auch ein Mentoring-Programm für Start-ups geben, das ihnen Zugang zum energiewirtschaftlichen Know-how der Energieforen ermöglicht. Eine erste direkte Kooperation mit einem Start-up ist bereits in Planung. Zudem erhalten innovative Start-ups Zugang zu vielen Unternehmen der Energiewirtschaft.
Vielen Dank für das Gespräch!