Auswirkungen der Krisenüberlagerung auf Versorger
Versorgungsunternehmen wurden zuletzt zunehmend mit schnellen und massiven Veränderungen konfrontiert, die mit Blick auf ihre Historie eher untypisch sind. Welche Entwicklungen und Wandlungsprozesse kommen angesichts der aktuellen Krisen-Kollision auf die Branche zu?
Ukraine-Krise: Die großen Herausforderungen stehen noch bevor
Der verachtenswerte Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine hat nicht nur kurzfristige, sondern auch massive mittel- bis langfristige Auswirkungen auf die Versorger. Das Ausmaß der Konsequenzen ist in Summe aktuell nicht eindeutig absehbar. Ein staatliches Eingreifen, spätestens bei einem Gasembargo/Lieferstopp, scheint aller Voraussicht nach unumgänglich.
Sicherlich am augenscheinlichsten sind die hohen Energiepreise, die zum einen ihre Volatilität (auch, wenn in anderen Schwankungsbreiten) behalten werden und sich zum anderen vor allem spätestens ab Herbst 2022 in mehreren Zyklen in massiven Energiepreiserhöhungen bis voraussichtlich 2024 niederschlagen werden. Nicht nur hier gilt es, die Preiserhöhungen (inkl. Abschlagspläne) häufiger umzusetzen, sondern auch zu berücksichtigen, dass es durch diese zu einer verstärkten Inflation sowie zu Insolvenzen (Privat- und Geschäftskunden) und Zahlungsausfällen kommen wird. Dieser Umstand führt ebenfalls mindestens für die kommenden 18-24 Monate zu erhöhten Anfragen im Kundenservice. Das Risikomanagement, die Liquiditätsbereitstellung und Sicherheiten im Beschaffungs- und Portfoliomanagement müssen bewältigt und neue Prozesse etabliert werden. Diesen „heißen Herbst" gilt es ab sofort vorzubereiten, auch im Hinblick auf kommunikative Maßnahmen für Gremien, Mitarbeitende sowie Kundinnen und Kunden.
Nicht, dass allein dieser kommunikative Kraftakt schon einen eigenen Krisenstab wert wäre, kommt die Vorbereitung einer potenziellen Gasmangellage ebenfalls auf die Versorger zu. Abschaltpläne, Erzeugungskapazität und Gespräche mit der Kundschaft sowie Stakeholdern gilt es, bereits heute zu führen und darüber hinaus langfristig die technische Umsetzung zu planen.
Der Ausstieg aus fossilen Energieträgern erhält gegenwärtig eine breite Beschleunigung aus den Reihen der Gesellschaft und Politik. Insbesondere ist jedoch die Nachfrage nach Energieautarkie und Versorgungsicherheit gestiegen. Diese Aspekte treffen nun auf einen Fachkräftemängel und einen „brummenden“ Markt bei der Installation sowie den Lieferproblemen aus Fernost. Schlussendlich wird sich das Verhalten der Kundinnen und Kunden ebenfalls verändern, ob zu mehr Energieeffizienz oder den Fokus auf Versorgungssicherheit gerichtet. Jedoch wird mit Beginn des Wettbewerbs um die Kundschaft auch das Hopping, also ein häufiger Wechsel des Energieversorgers, wieder einsetzen.
Die Energieforen haben vertieft zwölf Thesen zu dieser Thematik aufgestellt. Kommen Sie bei Interesse gerne auf uns zu.
Klimakrise: Die eigentlich größte Herausforderung unseres Planeten
Ohne Corona-Pandemie und dem Ukraine-Krieg wäre die Umsetzung der Energiewende die derzeit wichtigste Aufgabe mit der höchsten Priorität. Der Einstieg in den Dialog der Generationen ist unumgänglich und wurde vereinzelt bereits angestoßen bspw. durch die EWE im Jahr 2021 (Pressemitteilung EWE).
Wir dürfen nicht vergessen, dass es jetzt einen entscheidenden Beitrag durch unser gemeinsames Handeln zur Energiewende braucht, um eine nachhaltige und lebenswerte Zukunft zu schaffen. Besonders die Umstellung auf eine grüne Wärme wird einen enormen Kraftakt darstellen. Ganzheitliche Konzepte, mit Ausschöpfung der Potenziale hinsichtlich der Sektorenkopplung und damit der Lösung im Business Ökosystem, sind unabdingbar.
Das konsequente Umdenken ist nicht nur ein politischer Prozess, denn teilweise ist „grün“ für die Endverbrauchenden schon zum Standard geworden und längst kein Differenzierungsmerkmal mehr. Eher bedeutet es hingegen die Umsetzung einer lokalen Energiewende bzw. in Kombination mit der Schaffung einer CO2-Neutralität auch eine absehbare Versorgungssicherheit. Nachhaltigkeit als ganzheitlicher Ansatz wird jedoch immer wichtiger. Aus diesem Grund haben wir uns dazu entschieden, eine eigene Veranstaltung, den Fokustag THINK GREEN, ins Leben zu rufen.
Die erhöhte Nachfrage zu diesem Thema führt dazu, dass in der gesamten Organisationsstruktur der Branche ein tieferes technisches Know-how und zunehmende Kompetenzen nötig sind. Sicherlich liegt es auf der Hand, dass erforderliche Kapazitäten bei der Planung, spezifischen Leistungen sowie bei der Umsetzung selbst oder in Kooperation zu schaffen sind, um die Nachfrage bewerkstelligen zu können. Ebenfalls bedarf es in der Produktentwicklung, dem Vertrieb und Kundenservice sowie weiteren Bereichen, dies aufzubauen und die Organisation hinsichtlich technischer Dienstleistungen umzustrukturieren. Somit muss das erklärte Ziel darin bestehen, in der Wertschöpfungstiefe zu wachsen, statt in der Masse bei der Kundschaft und im Mindset ein Shift zu schaffen – von immer unsicheren Commodity mit Dienstleistungen hin zu Dienstleistungen mit dem Zusatz Commodity.
Corona-Pandemie: Den Menschen in der Organisation nicht vergessen
Mit Blick auf die harten Auswirkungen der Pandemie ist sicherlich die verlangsamte wirtschaftliche Erholung (auch wegen des Krieges) zu nennen sowie die weiterhin starken Lieferketten- und Produktionsprobleme in China. Ferner wird es zum Ausfall von Mitarbeitenden bei Versorgern und Dienstleistern kommen, den es auszugleichen gilt.
Die eigentliche Herausforderung besteht jedoch in der kulturellen Bewältigung. So gilt es, diese schnellen Veränderungen zu meistern, die Menschen unter den hybriden Bedingungen zu führen, das Zusammenarbeiten zu organisieren und ihnen Halt und Sinn zu geben. Der „New Way of Working“ ist bei vielen Unternehmen noch mitten in der Umsetzung bzw. steht teilweise noch ganz am Anfang. Plötzlich erfolgte unmittelbar der nächste Stresstest in Form der Umschaltung in den Krisenmodus. Es kommt nun auf die einzelnen Führungsebenen der Unternehmen an. Diese dürfen in der aktuellen Zeit nicht den Menschen hinter der Arbeitskraft aus dem Blick verlieren. Zusätzlich ist es Aufgabe der Führung von Versorgungsunternehmen, tagtäglich stärker Verantwortung für die gesamte Gesellschaft zu tragen, Sicherheit in unsicheren Zeiten zu vermitteln und diese Unberechenbarkeit selbst auszuhalten.
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Sinnstiftung und Zukunftsbild als Erfolgsfaktor
Überlagerung der Krisen und sich daraus beschleunigende Auswirkungen
Die Handlungsfelder sind vielfältig und sicherlich für jeden Versorger unterschiedlich, so wurde bislang das ganze Thema der Digitalisierung, Cybersicherheit und IT-Struktur ausgespart, nur um noch eines zu nennen. Der Fokus liegt dabei vor allem auf drei Feldern:
- Push auf die Energiewende: Die Energiewende wird sich rasant beschleunigen, ob getrieben durch die Klimakrise oder dem Streben nach Unabhängigkeit von russischem Öl und Gas.
- Schlüsselfaktor Fachkräfte und Ressourcen: Die Energiewende braucht neues Know-how und Fachkräfte zur Umsetzung, die heute schon knapp sind. Darüber hinaus werden Produktionsmittel (Wallboxen, PV-Module, Batterien, Chips etc.) benötigt, die durch die Corona-Pandemie und damit verbundene Produktions- und Lieferkettenprobleme stark umkämpft sind.
- Neue Kultur und Führung: Dass wir in einer VUCA-Welt leben, ist durch den Ukraine-Konflikt noch deutlicher geworden, doch die Umsetzung dieser, in einer durch Corona verstärkt hybriden Arbeitswelt, ist noch schwieriger.
Um all diese Dinge bewältigen zu können und sich krisensicher aufzustellen, gilt es für Versorger, weg vom klassischen Geschäft hin zum Dienstleistungsgeschäft zu denken.
Umbau zum Dienstleister ernsthaft vorantreiben
Nicht die größten, sondern die wandlungsfähigsten Unternehmen überleben in der Evolution, in der wir uns ständig befinden. Die aktuellen sowie die kommenden Krisen beschleunigen Trends sowie den Wandel des Geschäftsmodells von Versorgern gleichermaßen. Dass dies bereits die Realität darstellt, zeigt die Gefahr von Grundversorger-Pleiten, die bereits gehäuft in einzelnen Medien thematisiert wurden.
Versorgern, vor allem Stadtwerken, bietet sich mit der Umsetzung der lokalen Energiewende als regionales Ökosystem mit einfachen Lösungen eine riesige Chance. Es gilt dabei, den Wandel vom Commodity-Geschäft hin zur Dienstleistung mit Commodity-Geschäft, Realität werden zu lassen. Gebauer et al formulierte es 2016 wiefolgt: „Der Wandel vom Produzenten zum Dienstleister fördert die Einzigartigkeit und leistet einen wesentlichen Beitrag zum Verzögern der ruinösen Preisspirale und zum Generieren nachhaltiger Wettbewerbsvorteile.“
Mit dem Wandel zum Dienstleister müssen vor allem vier Handlungsfelder angegangen werden:
- Umstellung des Erlös- und Geschäftsmodells
- Servitisierung und Digitalisierung
- kundenorientierte Prozesse und Organisationsstruktur
- Shift im Mindset und in der Kultur
Gemeinsam Zukunft nachhaltig gestalten
Als Zukunftsgestalter haben sich die Energieforen diesem Slogan verpflichtet. Gerne begleiten wir Sie auf diesem Weg, unter anderem mit unserem Strategie-Review oder den Themenwelten. Darüber hinaus bieten wir in unserem Netzwerk zahlreiche Austauschformate an. Mit unserer Stiftungsprofessur an der HHL Leipzig Graduate School of Management zu „Digital Innovation in Service Industries“ werden wir in den kommenden Wochen das Thema „Vom Versorger zum Dienstleister“ vertiefen und laden Sie ein, diesen Prozess aktiv mitzugestalten.