New Work, Achtsamkeit und warmer Kaffee

Was genau steckt eigentlich hinter dem Buzzword "New Work" und welche Herausforderungen stellen sich in diesem Bereich zukünftig? Antworten auf diese Fragen liefern Steffen Rohr (Versicherungsforen) und Dominik Hartmann (Energieforen) in einem Kaffee-Plausch zum Thema Neue Arbeitswelten.

Typ:
Blogartikel
Rubrik:
Unternehmensorganisation
Themen:
Arbeitswelten Unternehmensorganisation Unternehmenskultur
New Work, Achtsamkeit und warmer Kaffee

Wir reden derzeit sehr viel über New Work und die Neue Arbeitswelt. Eigentlich fielen die Begriffe bereits vor 50 Jahren. Ist das Thema nicht mittlerweile kalter Kaffee?

Steffen: Scheinbar nicht. Es hat nur leider fast 50 Jahre gebraucht, bis die Gedanken von Frithjof Bergmann in den Unternehmen angekommen sind. Er hat damals den Begriff „New Work“ geprägt, aber hatte als Philosoph eher einen gesellschaftspolitischen Kontext im Sinn. Durch die Globalisierung, Digitalisierung und den Wertwandel hat sich das Umfeld in den letzten 20 Jahren derart verändert, dass Unternehmen erkennen, dass die Organisations- und Arbeitsformen des letzten Jahrhunderts nicht mehr zur Dynamik der Märkte und zu den Bedürfnissen der Mitarbeiter passen. Und damit wären wir bei der Neugestaltung von Arbeitswelten, die auf der Prioritätenliste vieler Versorgungs- und Versicherungsunternehmen ganz weit oben stehen. Das Thema ist aus meiner Sicht aktueller und wichtiger denn je.

Dominik: Steffen bringt es auf den Punkt. Die Dynamik der technologischen und wirtschaftlichen Entwicklungen erfordert eine kontinuierliche Bereitschaft und Notwendigkeit zur Veränderung – von Organisationen, Teams und Mitarbeitern. Alle sind betroffen und müssen sich immer wieder neuen Umständen anpassen können. Das beginnt bei der Suche des Nachwuchses (auf der Unternehmensseite) bzw. der Suche nach einem Ausbildungsplatz (auf Seite der Schüler) und endet bei der Wertschätzung und Berücksichtigung älterer Generationen. Insofern haben wir es beim Thema „New Work“ mit einem wohl temperierten Kaffee zu tun – weder zu heiß, noch zu kalt. Mit einem leckeren Stück Kuchen macht die Diskussion zu den vielfältigen Fragestellungen übrigens doppelt so viel Spaß.

Was ist denn Eurer Meinung nach das „Neue“ an der Diskussion?

Steffen: Punktuell haben sich Unternehmen ja schon immer damit beschäftigt, wie sie einzelne Aspekte der Arbeit neugestalten können, z.B. Führungsstile, Prozessoptimierungen oder die technische Ausstattung. Das hat zwar keiner so gesagt, aber ich denke wir haben ein Unternehmen wie eine Maschine gesehen, an der wir einzelne Zahnräder oder Komponenten verändert haben, um sie zu optimieren. Heute geht aus meiner Sicht darum, ein Unternehmen gänzlich anders zu sehen, nämlich als soziales System, das nicht vorgegeben ist, sondern dass sich ständig den aktuellen Bedingungen anpassen kann. Es geht um eine ganzheitliche Betrachtungsweise und vielleicht um neue Ziele. Weniger Optimierung und vielmehr Anpassungsfähigkeit, um die Wertschöpfung zu sichern oder zu erhöhen.

Dominik: Ich bin der Meinung, dass die Diskussion nicht nur auf Ebene der Organisation, sondern vor allem auf Ebene des einzelnen Mitarbeiters geführt werden sollte. Arbeit als Phänomen gab es schließlich schon immer. Während der Zweck von Arbeit früher vor allem der Sicherung des eigenen Lebens diente, rückt seit einigen Jahren der Wille nach Selbstverwirklichung in den Vordergrund. Das (Privat-)Leben soll bestenfalls nicht mehr um den Job herum gebaut werden, sondern der Job in das eigene Leben passen. Hierdurch wird auch der Begriff „Work-Life-Balance“ obsolet, da die Zeit an der eigenen Arbeit einen immensen Anteil an der Lebenszeit einnimmt. Unternehmen müssen sich dem bewusst werden und Möglichkeiten schaffen, wie die unterschiedlichsten Bedürfnisse von Talenten erfüllt werden können. Die zunehmende Sicht auf den Mitarbeiter als Menschen ist demnach ein wichtiger „neuer“ Punkt in der Diskussion.

Mobiles Büro

Welche Facetten findet ihr besonders spannend?

Dominik: Wenn in der Arbeitswelt das Menschsein wieder wichtiger werden soll, sind wir schnell beim Thema Gesundheit. Schließlich können nur gesunde Mitarbeiter langfristig leistungsfähig und motiviert sein. Dabei geht es nicht nur um ergonomische Arbeitsplätze, um Rückenleiden oder darum Kopfschmerzen zu reduzieren. Meiner Meinung nach sind die mentale Gesundheit und der Umgang mit Stress mindestens genauso wichtig. Immer mehr Unternehmen erkennen, dass das Thema Achtsamkeit nichts mit Esoterik und dunkler Magie zu tun haben muss. Vielmehr können Achtsamkeitstrainings helfen, den Fokus zu schärfen, Signale seines Körpers besser wahrzunehmen und in der bereits angesprochenen Dynamik der Arbeitswelt stabil zu bleiben.

Steffen: Viele Unternehmen haben sich in der letzten Zeit, teilweise erst pandemiebedingt, mit den Themen Arbeitsorte und technische Ausstattung beschäftigt. Das sind sicher notwendige Aspekte, denn wenn diese Voraussetzungen nicht gegeben sind, können wir in unserer digitalisierten Welt gar nicht arbeiten. Besonders spannend sind für mich aber die Themen Organisationsstrukturen und Führung. Das sind aus meiner Sicht die wirklich „dicken Bretter“, weil man sie nicht einfach wie ein Maschinenteil austauschen kann. Das hat was mit sozialen Systemen und Menschen zu tun, die in den bisherigen Strukturen gearbeitet haben und eine Menge an Veränderungen mit sich bringen, die nicht jedem schmecken. Einige Versicherungsunternehmen sind aber auch an diesen Themen dran und da bin ich gespannt, wie sich diese Themen zukünftig entwickeln.

Was ist Eure Einschätzung, wie sich diese Bereiche in Zukunft verändern werden?

Steffen: Ich vermute, dass notwendige Veränderungen, insbesondere bei den Strukturen und Führung, flächendeckend noch etwas Zeit brauchen. Da viele persönliche Befindlichkeiten an diesen Themen hängen, braucht es, glaube ich, ein hohes Maß an Veränderungsdruck aus dem Markt. Solange die Geschäfte noch ganz gut laufen, hat es die Veränderung schwer. Und es braucht Vorstände und Entscheider, die diese Veränderungen „wirklich, wirklich wollen“, um es mit den Worten von Frithjof Bergmann zu sagen. Wie gesagt, gibt es bereits Versicherungsunternehmen, die diese Veränderungen konsequent umsetzen und erste Erfolge sind auch schon zu sehen. Aber Veränderung und Kulturwandel brauchen ihre Zeit. Ich glaube wir reden nicht von morgen und übermorgen, sondern von vielen Jahren und das dürfte je nach Unternehmen sehr unterschiedlich sein.

Dominik: Die Offenheit für Veränderungen, seien es strukturelle Veränderungen oder veränderte Ansichten zu Themen wie Achtsamkeit, grenzt nahezu an die Bereitschaft, kontinuierlich dazuzulernen. Wenn Unternehmen und alle dazugehörigen Akteure den Willen zeigen, sich weiterzuentwickeln, ist alles möglich. Neue Dinge werden ausprobiert und deren Fit auf das eigene Unternehmen bewertet. So findet jede Organisation in einem Lernprozess seine individuellen Lösungen. Für die einen kann das die Einführung und Subventionierung von Achtsamkeits-Apps, für die anderen das Einstellen eines Achtsamkeitstrainers sein. Grenzen gibt es kaum, aber das Lernpotenzial ist immens hoch.

Wenn ihr eine Wunschvorstellung für diese Bereiche abgeben könntet, wie würde diese lauten

Steffen: Ich wünsche mir, dass sich Strukturen so verändern, dass Mitarbeiter selbstorganisiert arbeiten und ihre vollen Potenziale und Stärken einbringen können. In Bezug auf Führung wünsche ich mir, dass wir Führungskräfte entlasten und Führungsaufgaben auf viel mehr Schultern der Mitarbeiter verteilen. Das wird sicher nicht leicht, denn manche mögen sich nicht von „Macht“ und „Status“ trennen und andere mögen keine Verantwortung übernehmen. Ich bin aber fest davon überzeugt, dass es anders zukünftig nicht mehr funktioniert. Neue Arbeitswelten sind nicht immer einfach, sie sind auch anstrengend und schwierig. Aber dennoch glaube ich, dass sie zumindest die Mehrzahl der Mitarbeiter zufriedener macht und diese Zufriedenheit führt auch zu höherer Wertschöpfung und dient damit sowohl den Unternehmen, aber auch den Menschen.

Dominik: Ich wünsche mir generell mehr Mut von den Unternehmen, neue Wege zu gehen und auszuprobieren. Häufig liest und hört man nur von Best Practices und den Erfolgsgeschichten dahinter, weniger vom steinigen Weg dorthin. Deshalb ist der Austausch unter den Organisationen, ob klein oder groß, und den Gestaltern der neuen Arbeitswelt auch so wichtig. Unser Campus Arbeitswelten bietet bspw. die Chance, aus den Erfahrungen anderer zu lernen und neuen Mut zu schöpfen, um sich Schritt für Schritt mehr in Richtung Mitarbeiterorientierung zu bewegen. Aber auch der regionale Austausch ist nicht zu vernachlässigen. Leipzig ist da ein gutes Beispiel für die Ansässigkeit vieler junger und offener Unternehmen, die sich teilweise in Netzwerken gegenseitig unterstützen. Deshalb ist unser Blick auf die Stadt Leipzig in unserer neuen New Work-Studie* auch besonders spannend. Hier untersuchen wir derzeit, wie die Arbeitswelt in verschiedensten Unternehmen dieses regionalen Clusters aussieht und wo ggf. noch Entwicklungsbedarf besteht.

Habt ihr zum Abschluss einen Tipp für alle, die sich in der neuen Arbeitswelt noch etwas verloren fühlen?

Steffen: Na klar: Unser Arbeitswelten-Haus. Dort haben wir das vielfältige Phänomen der Neuen Arbeitswelten einmal strukturiert, denn Struktur gibt uns Orientierung und die ist in unserer komplexen und dynamischen Welt ganz hilfreich, glaube ich.

Dominik: Und dazu ergänzend: Durchatmen und einen warmen Kaffee trinken.

Abbildung Arbeitswelten-Haus mit Himmel und Wiese

*Die Veröffentlichung der Leipziger New Work-Studie wird voraussichtlich Ende September erfolgen. Natürlich werden wir Sie auf unserer Website darüber informieren.